BEZIEHUNGSORIENTIERTE BRÜCKEN IN DER KONFIRMANDEN- UND JUGENDARBEIT

LUST UND GESCHMACK AUF MEHR MACHEN

Vor 40 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, schon gar nicht in der Jugendarbeit, ein „unter uns“ Themenheft „Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit“ zu machen. Das erste „baugerüst“ (Bundeszeitschrift für die evangelische Jugendarbeit) zu diesem Thema erschien im Frühjahr 2008. Ganz offensichtlich muss sich in den 1990er Jahren etwas verändert haben. Der Übergang von der Konfirmationszeit in die Jugendarbeit, das Zusammenfinden einer Jugendgruppe für eine signifikante Anzahl von Jugendlichen eines Jahrgangs, war offensichtlich nicht mehr selbstverständlich. Obwohl während der Konfirmationszeit die meisten Evangelischen so intensiv Kontakt zur Kirche haben wie zu keinem anderen Zeitpunkt ihres Lebens, wurde die „Akquise“ von 14-jährigen Jungen und Mädchen in der Breite deutlich schwieriger. Das hatte keine demographischen Gründe.

 

Motivlagen

Die Jugendarbeit hat seitdem vor allem Interesse an der Konfirmationszeit, um mit Jugendlichen „in Kontakt zu kommen“. Denn: In der Konfirmationszeit sind nahezu alle evangelischen 13- und 14-Jährigen „verfügbar“. Auf der anderen Seite entwickelte die Konfirmandenarbeit ein Interesse an der Jugendarbeit, nicht als Organisationsform, sondern an ihren kreativen Methoden und beziehungsorientierten Arbeitsweisen.Konfirmandenunterricht als katechetischer Frontalunterricht wurde immer schwieriger auszuführen.

Wie kann man 13- und 14-jährige Mädchen und Jungen bei der „Stange“ halten? Wie kann die Konfirmationszeit für alle zufriedenstellend bewältigt werden? Was lag da näher, als über die Methodik und den „Spaß“ die Jugendarbeit in die Konfirmandenarbeit zu holen und die Perspektive der Konfis in den Vordergrund zu stellen, damit n der Konfirmandenarbeit Spaß und Lernen Hand in Hand gehen.

 

Missverständnisse, Bilder und ein herausforderndes Dilemma

Damit liegt der Beziehung von Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit von Anfang an ein großes Missverständnis zugrunde. Die Konfirmandenarbeit wollte das Know-how der Jugendarbeit und Jugendarbeit wollte die Konfis für ihre verschiedenen Formate. Was lag da näher als ein Deal, der eine Win-win-Situation verheißt. „Verknüpfung“ wurde nicht nur in der württembergischen Landeskirche das Zauberwort, um diese Beziehung zu beschreiben. „Gut verknüpft!“ ist auch der Titel des Praxis-Leitfadens der Kirche von Kurhessen-Waldeck*1. In diesem Begriff bündeln sich alle Interessen und Visionen. Eindrücklich das Bild von den verknüpften – oder doch verknoteten – Turnschuhen. Im Leitfaden der Kirche aus Kurhessen-Waldeck wird interessanterweise – und vollkommen zu Recht – genau dieses Bild nicht aufgegriffen, sondern das der Brücke und des Brückenbaus. Anders als das Bild von der Verknüpfung zeigt das Bild der Brücke und des Brückenbaus, dass Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit grundsätzlich zwei verschiedene Arbeitsfelder sind und bleiben sollen – und zwar auf Augenhöhe. Die Nähe von Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit gilt es bei aller grundsätzlich richtigen Unterscheidung zu nutzen. Beide wenden sich zwar grundsätzlich an die gleichen Jugendlichen, aber aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus. Konfirmandinnen und Konfirmanden wollen konfirmiert werden. Das ist ihr Interesse. Das ist das Interesse ihrer Eltern und der Familie. Die Konfirmation ist für die ganz große Mehrheit der Konfis und ihrer Familien ein zentrales Fest im Lebenslauf, auf jeden Fall in Württemberg. Deshalb sind sie da. Dieses Missverständnis – „es sind ja dieselben Jugendlichen“ – wird in der Praxis häufig sehr schnell aufgedeckt.

Die Story eines hauptamtlichen Jugendpfarrers, der sowohl in der Konfirmandenarbeit als auch in der Jugendarbeit war, zeigt das Dilemma. Er erzählte, dass die ehrenamtlich engagierten Jugendlichen, die den Jugendkreuzweg vorbereiteten, ihm sagten, sie wollen den Jugendkreuzweg nicht weiter durchführen, wenn wieder Konfirmandengruppen verpflichtend darin teilnehmen werden, weil diese einfach nur stören und sich auf nichts einlassen.

In der Jugendarbeit wird schnell vergessen, dass aus der Perspektive der Konfis die Formate der Jugendarbeit im Rahmen des Konfirmandenunterrichts eben auch nur Konfirmationszeit sind. Die Grundprinzipien der evangelischen Jugendarbeit, wie sie auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG)*2 in den Paragraphen 10 und 11 beschreibt, nämlich Freiwilligkeit, Partizipation und Selbstbestimmung,sind jedoch nicht die Organisationsprinzipien der Konfirmandenarbeit und können es auch nicht sein. Wenn die Konfirmandenarbeit die Prinzipien der Jugendarbeit

übernehmen wollte, dann müsste sie selbst dafür sorgen, dass die gesellschaftliche Wahrnehmung für Konfirmandenarbeit und der Konfirmation noch schneller marginalisiert und aus dem öffentlichen Raum gedrängt wird, als dies ohnehin der Fall ist. Dann wären Konfirmationszeit und Konfirmation endgültig privatisiert und im Freizeitbereich angekommen. Für die Jugendarbeit birgt das Engagement in der Konfirmandenarbeit Gefahren.

Sie wird schnell von ihr abhängig. Jugendfreizeiten, die eigentlich zu Konfirmandencamps mutiert sind, lassen sich nur noch durchführen, wenn auch die Konfirmandengruppen kommen und das Campgelände füllen. Man kann dann zwar große Zahlen vorweisen, aber sie entspringen nur sehr eingeschränkt der Jugendarbeit. Im gewissen Sinn sind sie getürkt und werden dann unter dem Stichwort, dass die demographische Entwicklung doch nicht so stark wirkt, verbucht.

Evangelische Jugendverbandsarbeit wird immer nur einen Ausschnitt von konfirmierten Jugendlichen erreichen, denn ihr hervorstechendes Merkmal ist Freiwilligkeit, Partizipation und Selbstbestimmung. Und so wird die Jugendarbeit zur Wegbegleiterin*3 auf dieser Brücke, die in diese Jugendlichen investiert und sie ein Stück auf ihrem Weg des Glaubens begleitet. Junge Menschen lernen dabei, sich handlungsorientiert mit Themen aus ihren  Lebenskontexten auseinanderzusetzen, diese theologisch zu deuten und im Horizont evangelischen Glaubens neu zu kontextualisieren. Dabei sollten Jugendliche immer wieder ermutigt werden, die persönliche Glaubens- und Lebensorientierung auf kreative Weise persönlich zu reflektieren und sich mit anderen religiösen und nicht-religiösen Weltsichten auseinanderzusetzen, um im gesellschaftlichen Diskurs sprachfähig zu sein. Jugendliche bauen so selbst lebendige Brücken von der Konfirmationszeit in die Jugendarbeit hinein.

 

Brückenbauen – aus gutem Grund

Was geht dann in der Kooperation? Evangelische Jugendarbeit kann in Kooperationen mit der Konfirmandenarbeit den Konfis Lust und Geschmack auf mehr machen. Aber dieses Mehr muss außerhalb der Konfirmationszeit liegen, sonst gibt es keine Brücke, sondern nur eine gute, an der Jugendarbeit orientierte, Konfirmandenarbeit. Das Danach muss in denBlick genommen werden. Brückenbauerinnen und Brückenbauer brauchen den Blickwinkel für prozesshafte Konfirmanden- und Jugendarbeit: Sich in Kontakt bringen und Beziehungen anbahnen. Gemeinschaftserlebnisse in der Peergroup und Beziehungsgeschehen in ihrer „Bubble“ ermöglichen.Räume zur Begegnung mit unserem guten Gott öffnen und Jugendliche befähigen, wiederum Brücken zu bauen. Das ist prozesshafte Jugendarbeit an der Schnittstelle zwischen Konfirmanden- und Jugendarbeit. Hier wird es an einigen Beispielen verdeutlicht:

 

Konfi-Camps als Brücken

Konfi-Camps gehören seit über 20 Jahren in der evangelischen Jugendarbeit in Württemberg zum Standard-Format und bilden so einen wichtigen Pfeiler, um eine Brücke in die Jugendarbeit zu bauen. Sie werden in nahezu allen Kirchenbezirken in Württemberg in vielfältigen Formen durchgeführt. Die Konfis erleben Jugendarbeit in ihrer Konfirmationszeit und können sich dazu verhalten. Die Mitte der Gemeinde liegt in der Kommunikation des Evangeliums. Auf Konfi-Camps erleben Jugendliche Gemeinde und eine jugendgemäße Form der Kommunikation des Evangeliums.

 

Brücken für Nachwuchs- und Nachfolgeprozesse

In Zeiten vielfältiger Angebote lassen sich etwa 90 Prozent der evangelischen Jugendlichen in Württemberg konfirmieren. Das sind potentielle „Nutzerinnen und Nutzer“ von Formaten in der Jugendarbeit. Die Konfirmationszeit ist eine Chance, mit diesen Jugendlichen in Kontakt zu kommen, Beziehungen anzubahnen, aufzubauen und ihnen durch verschiedene „Duftnoten“ die Attraktivität von evangelischer Jugendarbeit näherzubringen.

 

Milieuübergreifende Brücken

Die Tatsache, dass rund 90 Prozent der Jugendlichen an der Konfirmationszeit teilnehmen, führt dazu, dass die Konfirmationszeit als Gruppenangebot die größte Milieubreite in den kirchlichen Handlungsfeldern aufweist. Ehren- und Hauptamtliche in der evangelischen Jugendarbeit können Jugendlichen aus Milieus begegnen, mit denen sie sonst kaum Berührungspunkte haben. Das weitet den Horizont und kann helfen, eigene Formate auf ihre Diversität hin zu überprüfen.

 

Brücken zur Kontinuität aus der Arbeit mit Kindern hin zur Jugendarbeit

Zwischen dem Engagement in der Arbeit mit Kindern und der Jugendarbeit liegt die Konfirmationszeit. In dieser Perspektive ist sie eine Übergangsphase. Einige Jugendliche haben bereits Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern gesammelt wie beispielweise ein Engagement bei einer Kinderbibelwoche, Jungschar oder einem Kindermusical. Hieran gilt es konzeptionell anzuknüpfen, denn in der Konfirmationszeit müssen diese Kontakte neu gedeutet und gestaltet werden. Es ist notwendig, dass vor der Konfirmationszeit diese Brücke in den Blick genommen und konzeptionell überlegt wird, welche Brückenpfeiler notwendig sind, um mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu bleiben.

 

Brücken zu Leitungsaufgaben

Für Jugendliche hat die Ehrenamtsausbildung wie beispielsweise die Juleica *4 oder Trainee-Ausbildung *5 eine hohe Attraktivität. Mancherorts boomen diese Ausbildungen so, dass es danach schwer ist, für alle ein geeignetes Betätigungsfeld zu finden. Hierbei scheint es dringend notwendig, dass die Jugendarbeit auf die Bedürfnisse von Jugendlichen und den zukünftigen Leitungspersonen im Sinne der Partizipation eingeht und nicht nur an die „nichtbesetzen Positionen“ innerhalb der Jugendarbeit denkt. Jugendliche merken schnell, wenn sie als „Lückenfüller“ funktionalisiert werden. Gerade Freizeiten und Konfi-Camps bieten hierfür Erprobungsräume, die erworbenen Leitungskompetenzen auszuprobieren und zu reflektieren.

 

Personelle Beziehungsbrücken bauen

Jugendarbeit ist Beziehungsarbeit. Das ist nicht neu, wird aber nicht immer gebührend beachtet. Ehren- und Hauptamtliche aus der Jugendarbeit bauen personelle Brücken schon während der Konfirmationszeit mit dem Ziel, dass Konfis eine von authentischen Beziehungen geprägte Konfirmationszeit erleben und ein positives Bild von Jugendarbeit, Kirche und Glauben gewinnen. Die Zeiten, in denen die Konfirmationszeit als One-Man- oder Woman-Show funktionierte, sind vorbei. Die Bilder von Christsein, Jugendarbeit und Gemeinde, die während der Konfirmationszeit entstehen, sind für die Jugendlichen prägend. Konfirmationszeit wird als eine Art „Probezeit“ *6 für die Kirche betrachtet. Ob Jugendliche eine Beziehung aufbauen oder nicht, hängt wesentlich vom Engagement der Kirchengemeinde für die Jugendlichen ab. Dabei kommt es auf die Menschen und auf gute Formate an, die den Jugendlichen Spaß und Lust auf mehr machen. Die Jugendlichen stellen ganz einfache Fragen: Kommen meine Themen vor? Passe ich dazu? Kann ich mich einbringen? Zählt meine Meinung? Die Jugendarbeit sollte in dieser Phase Erprobungsräume eröffnen, damit Jugendliche herausfinden können, was zu ihnen passt.

An diesen Eindrücken machen sie unter anderem fest, ob der christliche Glaube relevant wird und ob sie nach der Konfirmation einen Platz im Lebensraum Jugendarbeit finden und einnehmen möchten. Wo Jugendliche hingegen unzufrieden gewesen sind mit ihrer Konfirmationszeit, haben diese auch eine höhere Kirchenaustrittsneigung, so die Macher der erwähnten Konfi-Studie. Viele evangelische Jugendliche begegnen in ihrer Konfirmationszeit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Jugendarbeit – was eine Initialzündung für eigenes ehrenamtliches Engagement sein könnte. Diese Chance für eine personale Brücke liegt darin, dass in der Jugendarbeit das Beziehungsgeschehen weiterwachsen kann, das während der Konfirmationszeit angebahnt wurde. Oft kommen erst dort die Aha-Effekte, wie man Glauben und Leben aus christlicher Perspektive versteht und gestaltet, einfach weil man älter ist und das erste Pubertätschaos hinter sich hat.

 

Passgenaue Anschlussformate als Brücken

Für einen Großteil der Jugendlichen gibt es auf dem Freizeitmarkt mehr Angebote als sie wahrnehmen können. Und diese verschiedenen Angebote werden den Jugendlichen auch optimal vermarktet. Die Angebote der Jugendarbeit stehen also in unmittelbarem Wettbewerb. Formate und Angebote der Jugendarbeit werden von den Jugendlichen dann angenommen, wenn sie passgenau sind, wenn sie sich mit den Interessen der Jugendlichen decken, weil sie sich dort als Person einbringen können und ihre Gaben und Fähigkeiten entfalten und reflektieren dürfen. Aber vorallem weil die Beziehung zu dem einzelnen Jugendlichen im Fokus steht. Wir haben einen liebenden Gott, der es liebt, wenn wir ihn lieben, uns selber lieben und einander lieben.

 

Es geht in unserer Jugendarbeit deshalb um dieses „Beziehungs-Mehr“.

Eine Jugendarbeit, die sich in der Ausbildung und Begleitung von Teamerinnen und Teamern der Konfirmandenarbeit erschöpft, erreicht zwar viele Jugendliche, steht aber nicht vor der Lösung, sondern vor einem Dilemma, denn Konfirmandenarbeit ist Arbeit mit jungen Menschen, aber nicht der Kern unserer Jugendarbeit.

 

*1 Der Leitfaden ist als PDF downloadbar: www.ekkw.de/media_ekkw/service_lka/Gut_verknuepft(1).pdf

*2 www.kjhg.de

*3 Lukas 24,15

*4 www.juleica.de

*5 www.ejwue.de/arbeitsbereiche/proteens/jugendliche/trainee/ Zugriff: 16.01.2019

*6 Wolfgang Ilg / Michael Pohlers / Aitana Gräbs Santiago / Friedrich Schweitzer

Jung – evangelisch – engagiert. Langzeiteffekte der Konfirmandenarbeit und Übergänge

in ehrenamtliches Engagement. Empirische Studien im biografischen Horizont.

Schwerpunktartikel UU_2019-2_Beziehungsorientierte Brücken Konfirmanden- und Jugendarbeit

von Bernd Wildermuth, Landesjugendpfarrer und Tobias Kenntner, Landesjugendreferent

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